The Murder Capital
Gigi's Recovery
Text: Julia Köhler
Das Spiel mit den Kontrasten dominierte schon das Debüt “When I Have Fears”, nun formuliert das Quintett diese Ansätze bis ins Detail aus. Dafür karren die Iren alle möglichen Instrumente ins Studio und weiten ihre atmosphärischen Möglichkeiten wie mit einem Nudelholz. Eingerahmt wird die Platte von “Existence” und “Exist”, zwei kurzen Spoken-Word-Stücken, die von Schwermut und Erlösung sprechen. Genauso atmosphärisch geht es glücklicherweise auch dazwischen weiter: Dramaturgisch sinnvoll platzieren The Murder Capital die Klimax ihrer Songs wie Serienmacher:innen ihre Cliffhanger. Wieder und wieder wagen die Stücke das große Finale, zerfallen in einer beeindruckenden Imposanz in tausend Stücke. Dafür erkundet die Band neben der bekannten Post-Punk-Formel neue Strukturen, vor allem in elektronischer Form: “The Stars Will Leave Their Stage” versprüht kühle Dissonanz mit Bässen und Synthesizern, “Return My Head” ist hingegen angenehm kaputter Britpop und bei “Crying” dürfen Streicher auf die Bühne. Dazu gibt es auch mal Polyrhythmen (“A Thousand Lives”) oder sengendes Klirren (“We Had To Disappear”), der rote Faden bleibt aber stets fest im Griff. Über all dem nuschelt, singt, tost und klagt James McGovern mit seinem windschiefen Timbre, das oft ein paar Zwischentöne daneben ist, immer aber – und hier passt das Wort wirklich – authentisch. Erstmals mimt er dabei mit Überzeugung den gewieften Storyteller, eine Rolle, die ihm mehr als gutsteht. “Gigi’s Recovery” fühlt sich wegen all dieser Komponenten an wie ein verdrecktes Kaleidoskop, das einen Blick auf einen diffusen Plot wirft, der irgendwo in der britischen Working Class angesiedelt ist. Im Fokus der Erzählung: die eigene Orientierung in einer überfordernden Welt. Das Licht am Ende des Tunnels: Die Interaktion mit anderen Personen. Genau diese zwischen Hilflosigkeit, purer Melancholie und vor allem selbstloser Hingabe schwankende Gefühlslage findet in den wohl temperierten Zwischentönen der Songs Platz. Trotzdem bleibt “Gigi’s Recovery” bei aller Kunstfertigkeit gut verdaulich und ist kein sperriges Konzeptalbum um der Sperrigkeit willen. Durch eingängige Melodieführungen und selbstbewusstem Größenwahn gibt es keinen Anlass zum Wegschalten. Umso schöner, dass man sich am Ende auch für das lyrische Ich freut, wenn es im Finale zum Schluss kommt: “This morning/ Took ownership/ To stay forever/ In my own skin.”