Die Ausnahmestellung der Acher-Brüder und ihrer Band in der deutschen Musiklandschaft währt nun schon ziemlich lange. Mit “12” und “Shrink” hoben sie bereits in den 90ern Indietronica aus der Taufe und lieferten mit “Neon Golden” das Meisterwerk des Genres gleich selbst ab. Danach wandten sie sich HipHop zu, den sie gemeinsam mit der Anticon-Posse als 13 & God mit Indierock kurzschlossen. Mit “Close To The Glass”, ihrem Album von 2014, stießen sie die nächste musikalische Häutung an, die sie mit “Vertigo Days” zu einem meisterhaften Abschluss bringen. Wie eng die Stücke auf ihrem achten Album miteinander verzahnt sind, zeigt bereits der Blick auf die Tracklist. Da gibt es “Into Love/Stars”, “*stars*” und “Into Love Again”, “Al Norte” und “Al Sur”, “Nights Too Dark” folgt auf “Sans Soleil”. Daneben gibt es aber auch musikalische Motive, die regelmäßig aufgegriffen werden. Das wichtigste ist der geloopte Beat, der im Intro “Al Norte” zu hören ist und danach in verschiedenen Variationen immer wieder die Stücke antreibt und ihnen eine, angenehm an die Beats von Jaki Liebezeit erinnernde Grundierung gibt. Zugleich verbinden The Notwist die einzelnen Stücke so intuitiv und beiläufig, dass sie wie eine lange Suite wirken. Allein der Übergang des leichtfüßigen “Where You Find Me” zum folgenden “Ship” ist so smooth, dass man beide Songs nicht mehr als einzelne Teile wahrnimmt. Eine internationale Band waren The Notwist schon zuvor, aber auf “Vertigo Days” ist das in doppelter Hinsicht hörbar: in der Ortlosigkeit ihrer Musik und in den Beiträgen von Saya, Sängerin der japanischen Band Tenniscoats, dem Auftritt von Ben LaMar Gay in “Sweet Fire”, der Argentinierin Juana Molina in “Al Sur” und der ebenfalls aus Japan stammenden Band Zayaendo im abschließenden “Into Love Again”. Sie alle bringen ihre Sprachen und Eigenheiten mit in diese Platte. Aber auch in den Texten von Markus Acher gibt es Motive und Versatzstücke, die er immer wieder benutzt. Während das Telefon oder Eisenbahnschienen als Metaphern schon lange eine Rolle in seiner Lyrik spielen, geht es auf “Vertigo Days” häufig um Kontraste – zwischen Hell und Dunkel, Tag und Nacht, Hitze und Kälte. In “Into The Ice Age” gelingt es Acher etwa in wenigen dürren Zeilen die Klimakatastrophe zu adressieren und zugleich unsere zunehmende Unfähigkeit, nicht zuerst an uns selbst zu denken. Das folgende “Oh Sweet Fire” setzt dazu den Kontrapunkt auf einem Album, dessen volle Größe es noch zu erfassen gilt. Meisterhaft.
weitere Platten
Vertigo Days - Live From Alien Research Center
VÖ: 10.02.2023
Ship (EP)
VÖ: 21.08.2020
Superheroes, Ghostvillains + Stuff
VÖ: 14.10.2016
The Messier Objects
VÖ: 06.02.2015
Close To The Glass
VÖ: 21.02.2014
The Devil, You + Me
VÖ: 02.05.2008
Neon Golden
VÖ: 14.01.2002
Shrink
VÖ: 08.09.1998
12
VÖ: 12.05.1995
Nook
VÖ: 01.09.1992
The Notwist
VÖ: 01.01.1990