The Ocean
Phanerozoic II: Mesozoic | Cenozoic
Text: Martin Iordanidis
In der Schlussszene des Filmklassikers “Alexis Sorbas” feiern die Protagonisten das spektakuläre Scheitern ihrer hochtrabenden Pläne in einem Tanz. Die Absurdität menschlichen Strebens nach mehr und die angebliche Herrschaft des Verstandes über die Welt zerfällt hier zu einem kurzen und zugleich ewigen Moment. Wenn auf der Erde um kurz nach zwölf alle Facetten des bevorstehenden Schauspiels erklärt sind, das Mensch in den nächsten Jahrhunderten erwartet, bleibt vielleicht nicht viel anderes als Sorbas’ Flucht in den Augenblick. Dort ist es auf skurrile Weise so still und andächtig wie im Opener “Triassic”. Bevor das Album später sein Klangarsenal aus onyxfarbener, infernalischer Bösartigkeit entfalten und das letzte Riff-Fleisch aus den Brutkästen von Mastodon, Gojira und Neurosis kratzen wird, wahren The Ocean hier zunächst die Distanz. Gitarrist Robin Staps dämmert zusammen mit einigen Bläsern dem jüngsten Tag entgegen, zu hören war diese ungewöhnlich gut funktionierende Kombination schon auf dem Vorgänger. Peter Voigtmanns Synthesizer bilden die Thermosphäre für Sänger Loïc Rossetti, der wie ein Astronaut mit gekappter Sauerstoffverbindung ins All abzudriften scheint. Spätestens in “Jurassic – Cretaceuos” schlägt er wieder ganz hart auf dem Boden der Tatsachen auf. Hier legen Bläser und The Prodigy-hafte Texturen ein rhythmisches Fundament, das zuletzt von Tool so vertrackt bespielt wurde. Nachdem Rossettis Lungenflügel wenig später halb aus dem Mund hängen, greift der Song das Prinzip Parabelflug noch ein weiteres Mal auf. Dann ist, ebenfalls wie im ersten Teil des Albumdoppels, Co-Astronaut Jonas Renkse von Katatonia als Gast zu hören. Weil das musikalische Setting für das doppelte Post-Metal-Manifest bereits definiert ist, lässt “Phanerozoic II: Mesozoic | Cenozoic” sich an vielen Stellen mehr in den Flow des Moments fallen als der erste Teil. “Pleistoscene” entpuppt sich als zweifratziges Monster, das im gleichen Song Zutaten bei Archive und Blastbeat-Black-Metal-ausborgt. Wenn “Phanerozoic I: Palaeozoic” und “Phanerozoic II: Mesozoic | Cenozoic” zusammen ein Gehirn bilden, dann ist dieses Album die rechte Hirnhälfte. Der bessere Kandidat für Intuition, Ganzheitlichkeit, Emotionen und andere Dinge, die uns vielleicht doch noch den Arsch retten.
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