Tocotronic
Golden Years

Tocotronic klingen auf ihrem 14. Album suchend – und finden womöglich ihre “Bye-Bye-Berlin”-Phase.
Nach den eindeutigen Ich-Ansagen der Anfangstage landen Tocotronic 1999 mit “K.O.O.K.” in neuen Sphären. Über die sogenannte Berlin-Trilogie, in deren Mitte das Meisterwerk “Kapitulation” (2007) steht, verfestigen sie ihre poetischen Songtexte, die stets Raum für Interpretationen lassen.
Letzteres gilt auch für “Golden Years”, das teils arg verzerrtes Gitarren-Feedback unter schwebenden Indierock legt. Im Zickzack geht es durch die Zeit und die Welt, auch auf der Suche nach einem (Gefühl von) Zuhause. Die Songs sind zumeist träumerisch, einige schwer greifbar und manche richten den Blick zurück, allen voran der großartige, nostalgische Titelsong. “Bye Bye Berlin” blickt gut gelaunt auf das Verlassen der Hauptstadt: „Endlich sind wir frei/ […] Wohin wir ziehen/ Ist nicht bekannt“, singt Dirk von Lowtzow da. “Denn sie wissen, was sie tun” ist hingegen auffällig direkt und politisch aktuell: „Diese Menschen sind gefährlich […] Terror als Identität“.
Tocotronic klingen auf “Golden Years” sprung- und wechselhaft, sind aber sicher noch nicht (beim Aufhören) angekommen. So endet das finale “Jeden Tag einen neuen Song” vielsagend mit der Zeile: „Und dann fange ich von vorne an“.
Matthias Möde
Die goldenen Jahre sind weltpolitisch vorbei – nun enden sie wohl auch bei Tocotronic.
Mit “Golden Years” wollen Tocotronic nochmal mit Tiefgang und Weiterentwicklung glänzen, aber alles an diesem gediegenen Altherren-Ritt durch die Prärie hat eher die Farbe der Biografie eines ausgedienten Fernsehmoderators: Herbstblond.
Nicht falsch verstehen, der moralische und politische Kompass der Hamburger ist weiterhin sauber austariert. Als Beweis dafür genügt “Denn sie wissen, was sie tun”. Doch ob man Nazis wirklich auf den Mund küssen sollte, wie Dirk von Lowtzow fröhlich als Alternative gegen die Alternative vorschlägt? Zumal man davon ausgehen kann, dass in der Wahlkabine viele wohl nicht wissen, was sie anrichten, wenn sie einer in Teilen gesichert rechtsextremen Partei womöglich bald zur zweitstärksten Kraft verhelfen.
Sei’s drum, wenigstens hat der Song Chuzpe im Vergleich zu den fast ausnahmslos müden Anbiederungen an Country und Reinhard Mey, zu denen von Lowtzow seine teils erstaunlich flachen Zeilen so schwerfällig und affektiert vorträgt, dass selbst Leonard Cohen wie ein Rapper daherkommt. Selbst Tocotronics Händchen für Melodien wie in “Der Seher” hilft nur bedingt weiter, wenn sie in “Wie ich mir selbst entkam” einem stumpfen Reim von „Ort“ auf „Ort“ gegenüberstehen.
Jonas Silbermann-Schön
Das steck drin: Die Aeronauten, Kettcar, Reinhard Mey
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