Ihre Shows sind irgendwie chic geworden, soll heißen: Es gehört sozusagen zur Etikette, Neurosis geil zu finden, weil es mal etwas anderes und außerdem ziemlich abgefahren ist. Vielen ging schon “Enemy Of The Sun” zu weit – “Souls At Zero” war viel besser, weil eingängiger. Da hatte San Franciscos Aushängeschild in Sachen Experimental-Musik immerhin richtige Songs geschrieben. Egal, schließlich pilgern immer mehr Leute zu den Gigs. Die sind schließlich das ultimative Allround-Erlebnis, mit Visuals und so. Neurosis, d.h. Steve Van Till, Dave Edwardson und Noah Landis haben den Mechanismus selbst gecheckt und ihre abgründigsten Passionen per Tribes Of Neurot realisiert. Die aber sind gar nicht chic, denn außer Klangcollagen, Ambient-Noise und ein wenig Tribal-Drumming bietet “Silver Blood Transmission” nichts als die Antithese von Songs. Was der Krach eigentlich soll? Nun, das Ganze ist nichts anderes, als die konsequente Weiterführung von Neurosis’ spirituellem Konzept: Die Seele baumeln lassen und den eigenen, kleinen Teufelchen und Engelchen für 75 Minuten den verdienten Ausgang auf eine unendlich große Spielwiese gewähren.
10/12 Melanie Schmidt
Seit 24 Jahren lebe ich neben der Autobahn. Nachdem das gehasste Rauschen durch die modernen Superschall-Fenster eingedämmt wurde, fiel es einem gar nicht mehr auf und geriet in Vergessenheit. Doch dann kommen Tribes Of Neurot und pressen solche Geräusche auf CD, schreien dreimal “Neurosis!” gen Mekka und verkaufen ihre Willkür als K-Wort. Kult soll es sein, aber Kacke ist es. “Steinigt den Kultur-Banausen”, werden die Fanatiker jetzt rufen, aber irgendwann ist Schluss. Die rauschende Klospülung, das piepende Testbild, die quietschende Metallpresse oder das geräuschvolle Nichts – unterlegt mit ein paar Samples unseres Lieblingsspiels “Doom”, das sind Tribes Of Neurot. Dazu haut Teddy Taste ein paar Mal kräftig in die Kirchenorgel, um das Ende der Welt einzuläuten. Im Info wird noch ein wenig von Spiritismus, Kunst und Wiedergeburt uralter Kulturen gefaselt. Ist ja auch nötig, denn ohne den entsprechenden Anstrich würde “Silver Blood Transmission” glatt als Audio-Test-CD durchgehen. Kommt mir jetzt nicht damit, dass ich nichts verstanden hätte, denn wer meint, den lauwarmen Furz irgendeines Verrückten für sich sachlich gerecht umsetzen zu können, sollte mal das Licht in seinem Oberstübchen anknipsen.
2/12 Thorsten Zahn
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Grace
VÖ: 13.07.1999