Entweder empfehlen dir deine Hardcore-Kumpels, dass du unbedingt mal zu einer Turnstile-Show gehen musst, oder du empfiehlst deinen Hardcore-Kumpels, dass sie unbedingt mal zu einer Turnstile-Show gehen müssen. Die Band aus Baltimore live zu erleben, vor allem in einem kleineren Club, ist ein magisches Erlebnis und entspricht nicht selten dem utopischen Ideal einer Hardcore-Show. Moshen und Stagediven ohne Mackertum, gelebte Diversität im Publikum, keine Abgrenzung zwischen Bühne und Saal, ein Mikro frei für alle – beste Voraussetzungen für eine gute Zeit. Verantwortlich dafür sind fünf schnuckelige und modebewusste Typen mit Herz und liebenswürdiger Ausstrahlung, die mit dem prototypischen “tough guy” gar nichts gemein haben und musikalisch trotzdem genauso auf die Kacke hauen können.
Standen Turnstile mit dem 2016er Debüt “Nonstop Feeling” noch in klassischer Hardcore-Tradition von Bands wie Snapcase oder Madball, sind sie mittlerweile in ihr eigenes Ding gewachsen: Auf “Time & Space” von 2018 hören wir viel Alternative-Einfluss, massiven Groove und kleine Fahrstuhlmusik-Bits, die für eine sympathische, selbstironische Lockerheit zwischen den Moshpit-Smashern sorgen. Auf “Glow On” bricht die Band noch viel häufiger mit den Konventionen des Genres und demonstriert mit vielen Beispielen, was sich damit Kreatives anstellen lässt. Das Album beginnt und endet mit süßem Synthie-Blubbern, nach der Stadionhymne “Mystery” kommt das treibende “Blackout”, bei dem nach einem fetten Breakdown die Drumline einer Marching Band übernimmt. Don’t Play ist eine perfekt ausgeführte Symbiose aus 2-Step-Hardcore und Latin-Beats, inklusive Congas, Klavier und Handclaps, was nach dem turboschnellen D-Beat-Intro komplett aus dem Nichts kommt, sich aber sofort nach einer logischen Kombination anfühlt und später in “Endless” erneut aufgegriffen wird. Bei “Fly Again” hämmert irgendjemand die Gitarren-Powerchords zusätzlich auf einem Klavier – warum auch nicht? In eine radikal neue Richtung entwickeln sich Turnstile auf “Alien Love Call” – ein an Tame Impala erinnerndes Stück Dream-Pop mit Spoken Word von R&B-Stilikone Dev Hynes alias Blood Orange, dann geht es aber direkt weiter mit dem Hardcore-Rodeo “Wild Wrld”, das wieder massenweise Percussions einsetzt und auf dem Frontmann Brendan Yates mit Chants das Publikum auf sich einschwört. Anschließend fordert er sie zum “Dance-Off” heraus, in dem einer der Gitarristen mit Effekten aus der Tom Morello-Spielkiste ein Saxofon imitiert.
“Glow On” ist ein atemberaubender Spaß und die aktuelle Spitze der Kreativität innerhalb des Genres. Nichts toppt die “Turnstile Love Connection (T.L.C.)”, ausgerechnet der geradlinigste Oldschool-Hardcore-Track des Albums, in dem Yates zum Breakdown-Groove skandiert: “I want to thank you for letting me be myself.” Schon beim Hören der Platte fühlt man sich mit den hunderten Menschen im Raum verbunden, die auf der nächsten Turnstile-Show als Einheit auf einer Wellenlänge schwingen. So einen Raum schaffen nur die besten Bands.