Understand
Real Food At Last
Die späten 90er waren eine andere Zeit. Eine Zeit vor 9/11 und dem Afghanistan-Krieg, eine Zeit der im Nachhinein unbestätigten Hoffnung auf sozialen Wandel durch die 1998 gewählte rot-grüne Bundesregierung. Musikalisch standen damals Emo und Post-Hardcore noch nicht wegen modischer Begleiterscheinungen im Rampenlicht, Bands sahen wie die letzten Lumpis aus und die dazugehörige Musik war scharfkantiger und mehr an Noise, Grunge und Hardcore orientiert als am Indierock und Pop. Die späten Fugazi, At The Drive-In oder Snapcase prägten im Hardcore die paar Jahre zwischen dem Niedergang von Grunge und der Indie-Explosion.
Und dann waren da noch Understand, ein Quartett aus Southend, England, das heutzutage kaum jemand kennen dürfte. Nach einer EP und ihrem Debütalbum sollte mit “Real Food At Last” eigentlich die zweite Platte folgen, aber die Band war mit den Mixen nicht zufrieden und löste sich 1999 unverrichteter Dinge auf. 20 Jahre später digitalisieren Sänger Dom Anderson und Gitarrist John Hannon, mittlerweile renommierter Produzent, die alten Aufnahmen und bereiten eine Veröffentlichung des vergessenen Albums vor.
Der Tod von Hannon 2021 macht für die Übriggebliebenen aus dem Projekt ein Denkmal für den verstorbenen Freund und mit Rise findet sich außerdem ein Label, das wie kaum ein anderes den modernen Post-Hardcore der 10er Jahre verkörpert. Rahmenbedingungen: check, Aufnahmen: check, aber funktioniert das Ganze auch vom Sound her? Bereits der Titelsong ist ein lautstarkes „Ja“, verpackt in leicht dissonante Quicksand-Gitarren, Andersons erstaunlich melodischen Sprech-Singsang und Hochfrequenz-Bollerbass. Walter Schreifels‘ noisige Hardcore-Band hat auch im Rest der zehn Songs Spuren hingterlassen. Wenn der Gesang stakkatoartig wird wie im pumpenden “I Can Get You In”, klingeln dafür allen Snapcase-Fans die Ohren.
Was Understand vor allem dank Anderson schaffen, der – das muss man einfach zugeben – besser als Schreifels und Snapcase-Frontmann Daryl Taberski klingt: Schlenker zum Pop passgenau in mal leichtfüßigen, mal bollernden Hardcore einzufügen, ohne dass es kalkuliert oder peinlich wirkt. Eben das, was vielen heutigen Genrevertretern auch gelingt – nur eben 20 Jahre früher. Weil kaum wahrscheinlich ist, dass Understand noch mal touren oder Musik aufnehmen, bleibt “Real Food At Last” ein unantastbares Zeitzeugnis. Davon, wie innovativer Post-Hardcore 1998 klang und auch heute noch klingen könnte.
Das steckt drin: Frodus, Quicksand, Snapcase