Nach dem vierten Album “Paradise” und der zugehörigen Tour war das kanadische Trio im Herbst 2018 wieder im Studio gewesen, um an seinem fünften Album zu arbeiten. Dabei stellte Sängerin Mish Barber-Way fest, dass sie schwanger war. Statt “Premonition” kam im Juni 2019 ihr erster Sohn, dann die Pandemie, dann eine zweite Schwangerschaft und die Geburt ihrer Tochter. Die große Veränderung im Leben der Frontfrau wirkt sich nun ähnlich fundamental auf ihre Band und deren lange verschobene Platte aus: White Lung werden sich nach dem Release von “Premonition” auflösen – und das neue Album verhandelt fast ausschließlich Schwangerschaft, Mutterschaft und die damit einhergehenden Umbruchsgefühle. “Date Night” etwa nimmt zornig und verängstigt Abschied von der ungezügelten Punkrock-Freiheit, weil künftig eine verantwortungsvolle Mutterrolle gefragt ist. “Bird “markiert mit Zeilen wie “I want to know you/ We are forever” die selige Vorfreude darauf, den neuen Menschen kennenzulernen und zu begleiten, den man in sich trägt. Und “Girl” ist eine knallende Punkhymne, in der eine Mutter liebevoll versucht, ihre unschuldige Tochter auf die Stromschnellen des Lebens vorzubereiten. Musikalisch steht all das auf dem gleichen Fundament wie bisher: die flirrenden Reißzahn-Gitarren von Kenneth William (dessen Talent man nicht hoch genug schätzen kann), das Vollgas-Schlagzeug von Anne-Marie Vassiliou, dazu Barber-Ways Attitüde zwischen Riot-Grrrl-Deklamation und Sinnlichkeit. Abgesehen vom Mid-Tempo-Song “Under Glass” variiert auch das neue Album nur Oktanzahl, Tongeschlecht und Akzente der erprobt atemlosen Punkrockschussfahrten, zu denen die Band nach dem leicht zurückgenommenen “Paradise” nun wieder zurückkehrt. Die Songs sind lediglich nochmal einen Tick vielschichtiger und texturierter ausgefallen. Was aber auffällt: Der Grundton ist bei allem Tempo weniger aggressiv, eher warm, mitfühlend, akzeptierend. Das passt zum Inhalt, und man darf es als Endpunkt einer Entwicklung begreifen: Nach dem frenetischen zweiten White-Lung-Album “Sorry” und dem noch besser geschriebenen und produzierten Nachfolger “Deep Fantasy” klang “Paradise” nicht nur post-punkiger und von glamourösen Pop-Produktionen inspiriert, sondern auch melancholisch, suchend. Was damals fehlte, hat Mish Barber Way nun offenbar gefunden – so rasend, aber lichtdurchflutet wie hier hat man Punkrock allenfalls mal von Fucked Up gehört.
weitere Platten
Paradise
VÖ: 06.05.2016
Deep Fantasy
VÖ: 13.06.2014
Sorry
VÖ: 29.05.2012
It's The Evil
VÖ: 15.06.2010