Steven Wilson
The Raven That Refused To Sing (And Other Stories)
Text: Carsten Sandkämper
Eine Platte wie diese, die mit Leichtigkeit das gesamte Repertoire originären Progrocks zelebriert, ohne abstrakt oder nach einer Kopie zu klingen, ist natürlich kein Zufall. Wilson weiß genau, warum er keinen einzigen Musiker des Genres in seiner Formation beschäftigt. Die Protagonisten stammen aus Rock, Jazz und Fusion. Jeder extrem virtuos, jeder mit einer vielfältigen Biografie, zusammen genommen eine irre Live-Band. Der Schlüssel zu “The Raven That Refused To Sing (And Other Stories)” liegt aber gerade nicht in der allzu oft im sogenannten Neo-Prog zelebrierten Virtuosität um ihrer selbst Willen. Die hier agierenden Musiker nehmen sich zurück, wo es nötig ist, und lassen sich gehen, wo es sein muss. The busiest Schlagzeuger alive Marco Minnemann und Gitarrist Guthrie Govan kennen sich bereits als zwei Drittel von The Aristocrats. Nick Beggs spielt Bass und Chapman-Stick, und ist der absolute Sympathieträger (trotz Kajagoogoo-Vergangenheit) und musikalische (Neu-)Entdeckung zu gleichen Teilen. Adam Holzman an den Tasteninstrumenten legt alleine durch seine Biografie (Miles Davis, Chaka Khan und Michel Petrucciani) eine Art jazz-funkige Patina auf die sechs ausufernden Kompositionen, während Theo Travis – wie schon auf “Grace For Drowning” und diversen Wilson-Projekten zuvor – die Mammutaufgabe sämtlicher Bläserkompositionen zufällt.
Mit derart beseelten Musikern eröffnet Wilson also eine Reise durch sechs “Geschichten aus der Welt des Übersinnlichen”, changierend zwischen komplexen Instrumental-Szenen, lieblichen Melodiebögen und berauschenden Klangorgien. Ein ums andere Mal lässt die tiefe Verbeugung vor den Ikonen erstarren, so perfekt integriert Wilson die Geschichte in seinen Sound. Zwischen Yes-Bassläufen, typisch offenen Genesis-Akkorden aus der “Selling England By The Pound”-Ära und an Pink Floyd erinnernde Hammond-Orgeln wird aber immer wieder klargestellt, dass es sich um ein Steven-Wilson-Album handelt. Denn sein Songwriting ist eigen, manchmal unerbittlich eigen. So verkommt dann leider auch die im Vorfeld bejubelte Position von Alan Parsons als Tontechniker des Albums eher zur Randnotiz. Wilsons Produktionsstil ist inzwischen zu sehr Trademark, als dass sich die Soundästhetik von Parsons in mehr als ein paar Passagen durchsetzen konnte. Alles in diesen Songs geschieht folgerichtig, um zu berühren, zu umarmen, zu überwältigen und in aller Komplexität doch nicht abgehoben zu klingen. Das im schönsten Sinne herzzerreißende Gitarrensolo in “Drive Home”, das dramatische Finale vom zehnminütigen “The Holy Drinker”, das gesamte atemlose Stakkato von “The Pin Drop”, die verstörende Harmonieführung von “The Watchmaker” und schließlich die in Ton verpackte Trauer des Titelstückes: Steven Wilson hat mit seinem dritten Album ein nahezu perfektes geschaffen.
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