Um es gleich klar zu stellen: “Ruins” ist kein Abgesang auf die aktuellen politischen Ereignisse in England, auch wenn Brexit-Kritiker den Titel des dritten Wolf-People-Albums durchaus so auslegen könnten. Die Vermutung läge nah, sind Wolf People in ihrer Musik doch schon immer ihrer Heimat zugewandt. Auf ihrem Debütalbum “Steeple” (2010) unternahm das Quartett beispielsweise eine Reise an geschichtsträchtige Orte Großbritanniens. Nun kann es in der Politik nicht so sagenhaft zugehen wie in den Songs von Wolf People. Das weiß die Band selbst auch, und versucht deshalb gar nicht erst, zu predigen oder jemanden mit Argumenten von irgendetwas zu überzeugen. Wenn überhaupt, dann ist ihr bestes Argument die Musik. “Ruins” sei kein Konzeptalbum, sagt Sänger Jack Sharp, beschäftige sich aber in mehreren Songs mit dem Gedanken, wie die Welt ohne den Mensch aussehen würde, wenn die Zivilisation also zusammenbrechen und die Natur sich Teile der Welt zurückerobern würde.
Vielleicht wären die Wälder dann wirklich wieder so grün und lebendig, wie sie auf “Ruins” klingen, und der in “Kingfisher” besungene Eisvogel wäre häufiger vorzufinden als heute. Im siebenminütigen Herzstück des Albums singt Sharp zu bedächtigem Rhythmus und wunderbarer Gitarrenmelodie, wie er einen Eisvogel beobachtet (was er wirklich getan hat) – und nach einer Minute ist klar: es kann kaum etwas Besseres und Sinnvolleres auf dieser Erde geben. Das musikalische Thema des Songs taucht im Verlauf des Albums in den je eine Minute langen “Kingfisher Reprise I” und “II” erneut auf. Dazwischen geht es zwischen 70er-Led-Zeppelin-Rock, Dungen-Psychedelic und Jethro-Tull-Prog (die Querflöte spielt in mehreren Songs mit) durch Schluchten und über Steine, die zahlreiche Geschichten aus der Vergangenheit zu berichten haben. Darunter auch so düstere wie in “Ninth Night”, das einen Zauberspruch aufgreift, der im 18. Jahrhundert für die sogenannte hand of glory verwendet wurde, um die eingelegte und als Kerze verwendete Hand eines gehängten Mannes zu magischen Kräften zu erwecken.
Das glaubt natürlich niemand, doch der Magie von Wolf People entkommt man trotzdem nicht so schnell – die Soundcheck-Spitze beweist es. Wenn Sharp in der ruhigen Psychedelic-Folk-Passage von “Night Witch” durch schillernden Nebel singt: Id fly every night if I could/ On wings of paper and wood/ Delivering death wherever I go/ As graceful and quiet as snow, dann möchte man, dass es genau so kommt. Durch den doppelten Retro-Vorhang von Wolf People – sie vertonen Geschichten aus dem 18. Jahrhundert mit Jahrzehnte altem Sound – entwickeln ihre Songs einen nebulösen Zauber, zu dem man sogar Akten sortieren oder Excel-Tabellen pflegen und sich dabei trotzdem wie auf einem fliegenden Teppich über den schottischen Highlands fühlen kann.