Weite Oase
Das zweite Album von Weite ist ein fein gesponnenes Netz aus Kraut- und Psychedelic-Rock sowie eine Hommage an den jazzigen Canterbury Rock von Bands wie Soft Machine, Egg oder National Health. Allein dieser Umstand zeigt, mit welchem Grad von Nerdtum Bassist Ingwer Boysen (Delving), Nick DiSalvo (Elder, Delving), Michael Risberg (Elder, Delving), Ben Lubin (Lawns) und Fabien de Menou (Perilymph) auf ihre Band schauen. Es ist der Clash aus Düsseldorf und Chicago, Weserbergland und Wüste von Nevada, der Weite antreibt. Sie treffen sich im Abendrot, wo Michael Rother Grobschnitt gute Nacht sagt, sie sitzen im Berliner Späti zusammen und philosophieren über den Einfluss von Edgar Froese auf John McEntire, hören The Sea And Cake gefolgt von Gilgamesh und greifen in den frühen Morgenstunden bei geschärftem Verstand zu ihren Instrumenten.
“Versteinert” beginnt mit einer elegischen Melodie, die Takte überschreitet, den Hörer aber dennoch hineinbittet. Der rhythmische Aufbruch, gespickt mit Neu!-Zitaten und progrockigen Wendungen gerät geradezu euphorisch, die musikalische Einheit favorisiert niemanden im Kollektiv. Während sich “Time Will Paint Another Picture” um eine Mellotron-Flöten-Phrase entspinnt, erstrahlt ein Melodiebogen, der auch auf Caravans epochalem “In The Land Of Grey And Pink” Platz gefunden hätte. Am besten kommt Weites Idee von Kosmischer Musik im Longtrack-Verbund aus “(einschlafphase)” und “Roter Traum” zum Ausdruck, einer Reise durch Post-Rock und Tangerine Dream-Soundscapes. Nach knapp sieben Minuten kontemplativen Aufbaus bäumt sich die Band mit himmelstürmenden Gitarrenmelodien und klirrender Hammondorgel zu einem Crescendo auf, das Pink Floyd in ihrer instrumentalen Frühphase die Eifersuchtsröte ins Gesicht getrieben hätte. Doch selbst nach diesem Höhepunkt setzt das Stück erneut an, um sich zu einer repetitiven Synthiemelodie erneut zu steigern.
Weite setzen auf “Oase” ihre vielschichtige Vision wesentlich konzentrierter um als noch auf dem wortwörtlich konstituierenden Feldversuch “Assemblage”. Melodie und Song werden zur Leitschnur, wie das liebliche Zwischenspiel “Woodbury Hollow” demonstriert. Der trippige Zehnminüter “Eigengrau” walzt mit einem psychedelischen Chaos aus Störgeräuschen und kaputtem Bluesriff durchs Bild, nur um sich auf der Hälfte in ein rhythmisch komplexes Pattern zu transformieren und erneut eine von Jazz und Folk geformte Melodie auszubreiten, die schimmernd als Unisono-Passage zwischen Gitarre und Keyboard über dem Song schwebt. An dieser Stelle gibt es schließlich keinen Zweifel mehr: Der Tag hat begonnen, und die Sonne erhebt sich gemächlich über der “Oase”. “The Slow Wave” kündet zurückgenommen und etwas verpennt den Aufbruch an. Und während Eskapisten die letzten eindringlichen Melodien mit der Morgenluft einsaugen, ihr Leergut einsammeln und mit einem stürmisch rockigen Finale aus dem Laden katapultiert werden, freuen sie sich schon auf die nächste Session.
DNA:
Tortoise – “TNT” (1998, Thrill Jockey)
Jede Generation bringt Superfans von Kraut- und Psychedelic Rock hervor. John McEntires Band stand in den 90ern wie keine zweite für die Fortschreibung von Motorik und Kosmischer Musik, kombiniert mit Jazz und Elektronik. Eine große Scheibe von seiner Sensibilität in Sachen songdienlicher Rhythmik und Präzision hat sich Nick DiSalvo für sein Spiel bei Weite abgeschnitten.
Tangerine Dream – “Cyclone” (1978, Virgin)
“Cyclone” war für Edgar Froese und Christoph Franke das erste Experiment mit Gesang und einem neuen Bandmitglied. Multi-Instrumentalist Steve Jolliffe forderte den Sound von Tangerine Dream heraus und transformierte den sphärischen Habitus zu neuer Dringlichkeit an der Schwelle zu den 80ern. Ohne “Cyclone” kein “Force Majeure”, und wer weiß, was auf “Oase” folgt.
Hatfield And The North – “The Rotters Club” (1975, Virgin)
Stellvertretend für die kleine Welt des Canterbury Rock, mit all ihren ineinander verschränkten Line-Ups, kann das zweite Album der Band um Phil Miller (Matching Mole), Pip Pyle (Gong) und Richard Sinclair (Caravan) als Fundament für all die grandiosen Melodien ins Feld geführt werden, die Michael Risberg und Fabien de Menou unisono durch die Oase gleiten lassen.
Zweitstimmen:
Juliane Kehr: “Weite ist auf “Oase” das für Instrumentalalben wichtigste Kunststück gelungen: Dynamisch subtil, mit leisen Tönen und Songs weit jenseits der Fünf-Minuten-Marke die Aufmerksamkeit der Hörenden fesseln und nur mit den Basis-Instrumenten des Rock eine Geschichte erzählen.”
Florian Schneider: “Meine Erwartungen waren gering, zu jammig und ziellos klang “Assemblage”. Auch “Oase” nimmt sich Zeit, bis die einzelnen Songs ins Ziel kommen. Auf dem Weg dorthin haben Weite aber viel zu erzählen. Das ist Musik wie eine Meditation: Wer sich Zeit dafür nimmt, wird reich belohnt.”
Unsere bisherigen Alben der Woche
The Soundtrack Of Our Lives - Origin Vol. I
VÖ: 11.10.2004
The Killers - Hot Fuss
VÖ: 04.10.2004
Green Day - American Idiot
VÖ: 27.09.2004
The Faint - Wet From Birth
VÖ: 20.09.2004
Embrace - Out Of Nothing
VÖ: 13.09.2004
Slut - All We Need Is Silence
VÖ: 06.09.2004
The Libertines - The Libertines
VÖ: 30.08.2004
Soulwax - Any Minute Now
VÖ: 23.08.2004
The Radio Dept - Lesser Matters
VÖ: 16.08.2004
Ataxia - Automatic Writing
VÖ: 10.08.2004
Mark Lanegan - Bubblegum
VÖ: 10.08.2004
The Album Leaf - In A Safe Place
VÖ: 26.07.2004
The Hives - Tyrannosaurus Hives
VÖ: 19.07.2004
The (International) Noise Conspiracy - Armed Love
VÖ: 12.07.2004
Superpunk - Einmal Superpunk, Bitte!
VÖ: 05.07.2004
Coheed And Cambria - In Keeping Secrets Of Silent Earth: 3
VÖ: 28.06.2004
Kings Of Convenience - Riot On An Empty Street
VÖ: 21.06.2004
The Thermals - Fuckin A
VÖ: 14.06.2004
The Datsuns - Outta Sight/Outta Mind
VÖ: 07.06.2004
PJ Harvey - Uh Huh Her
VÖ: 31.05.2004
Ash - Meltdown
VÖ: 24.05.2004
The Magnetic Fields - i
VÖ: 17.05.2004
Eagles Of Death Metal - Peace Love Death Metal
VÖ: 10.05.2004
The Icarus Line - Penance Soirée
VÖ: 26.04.2004
Minus - Halldór Laxness
VÖ: 19.04.2004
Amen - Death Before Musick
VÖ: 05.04.2004
The Von Bondies - Pawn Shoppe Heart
VÖ: 29.03.2004
The Vines - Winning Days
VÖ: 22.03.2004
Mando Diao - Bring 'Em In
VÖ: 15.03.2004
Seachange - Lay Of The Land
VÖ: 08.03.2004