Denim Back in Denim
Lawrence Hayward, in dem das Geniehafte neben dem Wahnsinn lebt, hatte die Vorgängerband Felt als “Zehn-Alben-in-zehn-Jahren”-Projekt definiert. Zu Beginn der 90er gründet er daher Denim und ändert die Richtung radikal. Lebten Felt von einer perfekten Indiepop-Ästhetik, klingen Denim, als versuche Lawrence, die Bay City Rollers und Status Quo in einen Indiekontext zu transferieren. “I’m Against The Eighties” bestätigt das Konzept, andere Songs heißen “Fish And Chips” oder “Bubblehead”, im Herzen des Albums steht eine acht Minuten lange “Hommage” an “The Osmonds”: “In the 70s there were a lot of Osmonds everywhere.” Lawrence inszeniert Denim als Projekt abseits aller Hypes, damals, 1992, ist diese Mischung für die Karriere tödlich. Heute besäße Lawrence mit diesem Meta-Retro-Ansatz größere Chancen, jedoch hat er Denim längst stillgelegt und musiziert heute dann und wann als Go-Kart Mozart. Von Denim erscheint 1996 nur noch ein weiteres Album, “Denim On Ice”, das genau so unterhaltsam ist wie dieses Debüt. André Boße
Adorable Against Perfection
In einer gerechten Welt wären Adorable weltberühmt, aber: Wer in den 90er Jahren keinen Image-tauglichen Stein im Brett der mächtigen britischen Musikpresse hat, wird gnadenlos übersehen oder überfahren. Dabei hat diese Band um den charismatischen und coolen Sänger Pete Fij unfassbar druckvolle, poetische, herzzerreißende Songs wie “Homeboy” oder “A To Fade In” auf “Against Perfection”, die nahezu perfekt sind. Doch Adorable sitzen zwischen allen Stühlen, beim Label Creation Records zwischen Kollegen wie My Bloody Valentine, Primal Scream oder später Oasis, stilistisch zwischen Post-Shoegaze und Pre-Britpop. Die Band sperrt sich gegen jede Zuschreibung und verkündet schließlich 1994 auf dem letzten Konzert ihre Auflösung. Die Zeit war nicht auf ihrer Seite, also machen sie sich die Zeit zu eigen: Als keiner damit rechnet, kündigen Adorable 2019 eine schnell ausverkaufte Reunion- und zugleich Abschiedstour an und schreiben sich ein eigenes, gerechtes Happy End – abseits von Britpop und Bandhypes. Kerstin Kratochwill
Suede Suede
Als das Debüt von Suede umgehend die UK-Chartspitze besetzt, verdankt es seine rekordverdächtigen Verkäufe einem schon länger brodelnden Hype: Der Melody Maker erklärt die Londoner noch vor der ersten Single “The Drowners” zur “Best New Band” und das Select-Magazin packt Sänger Brett Anderson mit Union Jack und der Überschrift “Yanks go home!” aufs Cover – Suede sind auserkoren, die Ehre britischer Musik zu verteidigen. Mit seiner androgynen Erotik, sexuellen Ambiguität und theatralen Melancholie vereint Anderson Elemente von David Bowie und Morrissey und dient als stylischer Gegenentwurf zu den Flanellhemd-Trägern aus Seattle. Dazu haut Gitarrist und Songwriting-Partner Bernard Butler in den stärksten Momenten des Debüts knackige Glamrock-Riffs raus, siehe “Animal Nitrate”, “So Young” und “Metal Mickey”. Mit dem Britpop-Label können Suede wenig anfangen, und die “Lads” von Oasis und Blur stehlen ihrem dunklen Sozialsiedlungs-Glamour wenig später das Rampenlicht. Trotzdem: Ohne Suede kein Britpop. Nina Töllner
The Auteurs New Wave
Anderthalb Jahrzehnte später wird Mastermind Luke Haines seine Erlebnisse im Auge des Hype-Orkans in einem Buch zusammenfassen, das einen sehr sprechenden Titel trägt: “Bad Vibes: Britpop And My Part In Its Downfall”. Anno 1993 tritt er, so behauptet er später, das Phänomen überhaupt erst los. “New Wave” ist natürlich der perfekte, riesig angelegte Titel, die Songs dahinter ein eklektizistisches Sammelsurium, das einen mehrere Jahrzehnte weiten Bogen beschreibt. Die Kauzigkeit der Kinks findet sich hier ebenso wie das Leid des kleinen Mannes und die Verlockungen der großen Bühne. “Showgirl” nimmt die besten Momente von Pulp vorweg, “Bailed Out” ist cineastischer Kammerpop mit Drama-Gitarre und torkelndem Piano, “Junk Shop Clothes” klingt nach übernächtigtem George Harrison. Das besondere Element im Sound der Auteurs ist James Banburys Cello, das die Songs mit klassischem Versatz garniert. Der Erfolg des Debüts ist überschaubar, dabei wird es für Haines bleiben, die Songs aber sind grandios. Ingo Scheel
Blur Parklife
“Oi!” – britischer kann ein Lied nicht losgehen. Auch der Rest des Titelsongs von Blurs drittem Album ist “as English as it gets”: ein satirischer Parkspaziergang in fidelem Cockney, vorgetragen von “Quadrophenia”-Hauptdarsteller Phil Daniels. Und überhaupt: Wenn ein 90er-Werk die Bezeichnung Britpop verdient, dann wohl “Parklife”. Damon Albarn singt über Konsum- und Hamsterrad-Kultur, nimmt aber auch das Rumgevögel britischer Touris (“Girls & Boys”) und die Feierlaune am “Bank Holiday” auf die Schippe und lässt sich von den Schifffahrtsnachrichten der BBC inspirieren (“This Is A Low”). Dazu betreibt die Band fröhliches Genre-Hopping – von stampfendem Disco-Pop und rotzigem Punk bis zur schunkeligen Schaubudennummer und psychedelischen Melancholie-Hymne. Große Mitsing-Refrains gibt es auch. Die Resonanz: Platz eins der Albumcharts und mehrere BRIT Awards. Die Folge: der “Battle of Britpop” mit Oasis. In Sachen Kreativität und Cleverness sind Blur den Gallaghers aber längst haushoch überlegen. Nina Töllner
Oasis Definitely Maybe
Das Meisterwerk beginnt mit Panik: Trotz mehrerer Produzenten und Studios bekommen Oasis ihre Soundmacht nicht mit dem nötigen Biss aufs Band. Beim Mastering in Johnny Marrs Studio ist jener trotzdem entsetzt, wie “in your face” dieses Debüt klingt. Dabei muss das so: Gleich der erste Song heißt “Rock ‘n’ Roll Star”, Noel Gallagher schreibt schon als junger Manchester-Hund für das Wembley-Stadion, macht seine Band zu neuen Beatles im Overdrive – Suede und Blur spielen Britpop raffinierter, aber Oasis treten von Beginn an als größte Band der Erde auf. Und die Zeit ist reif dafür: “I’m feeling supersonic, give me gin and tonic” – mit “Supersonic” bricht eine neue hedonistische Ära der Rockmusik an, “Live Forever” löst die düstere Selbstkasteiung des Grunge mit Fantasien von der eigenen Grenzenlosigkeit ab. Kaum ein Jahr später schießt das Hit-strotzende “(What’s The Story) Morning Glory?” die Band in die Stratosphäre, aber: So selbstverständlich und mühelos groß wie hier klingen Oasis da schon nicht mehr. Dennis Drögemüller
Dodgy Homegrown
Aufpassen bei der Namenswahl: “Dodgy” steht ungefähr für das, was im Deutschen Die Doofen aussagen. Jedoch handelt es sich bei der Band aus Hounslow, gelegen am Heathrow Flughafen, nicht um eine Kasperlband. Okay, Humor und Selbstironie spielen eine gewisse Rolle, vor allem aber verstehen sich Dodgy als Wald-und-Wiesen-Variante des Britpop. Lange bevor Camper angesagt sind, posiert das Trio auf seinem zweiten Album vor diesem Freiheitsmobil. Die Songs der Platte sind eine Wucht: Melodien im Überfluss, ein Sound zwischen Beatles und The Jam, dazu eine unbeschwerte Sommerstimmung. Die Single “So Let Me Go Far” schafft es 1994 sogar ins deutsche Radio, noch besser sind “Staying Out For The Summer” und “Melodies Haunt You”. Mit dem folgenden dritten Album landen Dodgy 1996 den Hit “Good Enough”, danach steigt der Sänger aus und die Band zerschellt. 2012 kommt es zur Rückkehr mit zwei Alben, die zeigen, dass der sonnendurchflutete Britpop von Dodgy auch im höheren Alter noch spielbar ist. André Boße
Pulp His 'n' Hers
Klar, Pulps ganz großer Wurf ist ein Jahr später “Different Class” (und, als ihr Frontmann Michael Jackson bei den BRIT Awards düpiert). Doch wenngleich “His ‘n’ Hers” kein “Disco 2000” und “Common People” mitbringt, so enthält das aus Synthiepop, Glam-Rock und New Wave geformte Major-Debüt der Sheffielder immerhin Indieclub-Hits wie “Babies” und “Do You Remember The First Time?” und holt die Band endgültig aus langjähriger Obskurität. Jarvis Cocker ist wie der ältere Bruder der Britpop-Bewegung, der – halb lässiger Dandy, halb notgeiler Voyeur – Storys ins Mikro haucht, die so schwitzig sind wie seine Polyester-Hemden aus dem Charity Shop: von der Affäre unterm Wohnzimmertisch, vom Spannen aus dem Kleiderschrank und vom Versuch, die Ex zu verführen. Cocker macht Nerdigkeit sexy und erzählt mit einem selbstironischen Humor von Vorstadt-Ennui und Arbeiterklasse-Elend, der Drama-Queens wie Suede völlig abgeht. Selbst der betonten Partytauglichkeit mancher Refrains und Synthies hört man ein Augenzwinkern an. Nina Töllner
Genre-Special: Britpop
Some Time In The Sunshine
Inhalt
- Britpop - Die History – Some Time In The Sunshine
- Britpop - Das Interview mit Luke Haines – "Liam macht es richtig. Noel nicht."
- Britpop - Die Plattenliste – Cool Britannia