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Grind & Growls: Zarte Nadelstiche ins Auge

Extreme Metal mit Michael Setzer

Zarte Nadelstiche ins Auge
Auf Suffocation ist Verlass, und dass Year of The Knife wieder Musik machen, grenzt an ein Wunder – “Grind & Growls” bietet aber noch mehr Platten zwischen Death Metal und Powerviolence.
Grind & Growls: Year Of The Knife (Foto: Cameron Nunez)
Sind nach schwerem Unfall zurückgekehrt: Year of The Knife (Foto: Cameron Nunez)

Wege aus der Krise: Mit Kanonen auf Spatzen schießen, Feuer mit einer Atombombe löschen – und Suffocation lachen auf ihrer neunten Platte “Hymns From The Apocrypha” (Nuclear Blast, 03.11.) nur milde. Denn das hier ist das Übermaß von allem. Das sind Leute, die das Haus wegsprengen, wenn eine Spinne in der Küche sitzt. Sicher ist sicher. Sicher ist auch, dass der vertrackte, hochtechnische und -musikalische Death Metal der New Yorker rein physikalisch nicht mehr brutaler werden kann – von zarten Nadelstichen ins Auge bis eben zur Atombombe ist alles abgedeckt. “Seraphim Enslavement” oder “Descendents” suchen ihre Extreme bisweilen nicht nur in der Zerstörung, sondern in fast unerträglichem Spannungsaufbau. Wenn diese mutwillige Zerstörung nicht so filigran, fast zart wäre, könnte man glatt von Expressionismus sprechen, liebe Kunststudenten.

Ja, vieles ist gerade mies, aber es gibt auch gute Nachrichten: Herzlich Willkommen zurück, Year Of The Knife. Die Band aus Delaware ist im Juli in einen schrecklichen Autounfall verwickelt, alle Verletzungen aufzuzählen, die sie davongetragen hat, würde den Rahmen sprengen. Besonders Sängerin Madi Watkins (vormals am Bass) geht noch immer durch die Reha. Ihre zweite Platte “No Love Lost” (Pure Noise, 27.10.) darf daher durchaus als kleines Wunder gesehen werden und zusammen mit Produzent Kurt Ballou (Converge) hauen Year Of The Knife eine gerade mal zwanzigminütige Grußkarte raus: Derbster und fein transparent rausproduzierter Hardcore Schrägstrich Powerviolence Schrägstrich Death Metal. Devin Swank von Sanguisugabogg kotzt sich als Gast bei “Wish” aus, Dylan Walker von Full Of Hell in “Last Laugh”. Und das ist alles ganz großartig.

Aaron Osborne alias Aglo arbeitet auf seiner zweiten Platte “Build Fear” (Brilliant Emperor, 10.11.) mit beeindruckend grobem Brett: Doom Death mit rollendem Panzer, genüsslich breitgetretener Schwerfälligkeit. “Storm Of Fears” erinnert an Fingerhakeln zwischen Eyehategod, My Dying Bride und Paradise Lost (mit Cowbell) und “Warhead” schmeichelt mit dieser warmherzigen Crowbar-Energie, während sich “Relativity Undone” in sagenhafter Schwermut dem Ende entgegenrollt. Die Mittel, mit denen Osbourne seiner Seele Lüftung verschafft, mögen begrenzt sein, aber immerhin reizt er sie voll aus. Denn mitunter ist das derart heavy, man könnte ganze Stadtteile damit plattwalzen.

Einen gehörigen Fall von Death-Metal-Rückverdichtung gibt es von Elitist aus Kopenhagen auf deren Debüt “A Mirage Of Grandeur” (Indisciplinarian, 17.11.). Schon klar: sinnvoll zusammenrücken, dann ist mehr Platz für alle – Death Metal, Thrash, Prog, Noiserock, Gehacke, schräger Scheiß und ein steter Quell an überraschenden Wendungen. Wahrscheinlich wurde seit “Altars Of Madness” von Morbid Angel oder Hate Eternal nicht mehr so viel in Death Metal gepackt. Aber dank dieser Rückverdichtung geht da noch viel mehr: absolut psychotisch und fantastisch ist etwa, was die Dänen im Mittelteil von “Vacuous Magnificence” veranstalten. Das hier ist die Zukunft als eine Verfeinerung der Gegenwart.

Gute Nachrichten auch aus Portland, Oregon: Rank And Vile sind auf ihrer zweiten Platte “Worship” (Modern Grievance, 17.11.) noch immer stinksauer. Von der Körperverletzung zum Hüftschwung brauchen die grindigen Death Metaller in “Bishop” gerade mal 19 Sekunden und auch die restlichen 100 Sekunden werden mit Nachdruck, schwedischer HM2-Kreissägen-Verzerrung und Bulldozer gereicht. Doch eben derart rabiat, subtil musikalisch und uneitel, wie es das seit Trap Them niemand mehr hinbekommen hat. Es ist schließlich immer wieder bezaubernd, wenn einem hochaggressive Gefühlswallungen ohne Stinkstiefeligkeit und Testosteronsuff gegen die Stirn geklatscht werden.