Die Nerven
Wir waren hier
Auf den Hund folgt der Müll: Der schwarze Schäferhund mit seinem schwer zu deutenden Blick bildete das Cover des fünften Die-Nerven–Albums, das den Titel der Band trug und die Berlin-Schwaben-Achse mit Stücken wie “Europa” und “Ich sterbe jeden Tag in Deutschland” in die politischen Feuilletons brachte. Nun also “Wir waren hier”, so etwas kritzeln schreibfaule junge Menschen in die Gästebücher von Jugendherbergen, wenn die Lehrkräfte auf einen Eintrag pochen.
„Wir haben uns verewigt, in den Rissen der Welt“, heißt es im Titelstück, einem deftigen Diss auf die Menschheit und ihre zerstörerische Kraft. Mal eben noch schnell die Castorbehälter ins Meer geworfen – und die toten Körper auch. Dass kurz vor der Veröffentlichung des Albums die Nachricht durch die Medien ging, ein atomares Endlager lasse sich erst finden, wenn von den Menschen, die das Desaster zu verantworten haben, niemand mehr lebt, ist einer dieser Zufälle, die Kunst so besonders macht: Was als düsterer Gag gemeint war, ist nun Zeitkritik.
Musikalisch ist der Song zunächst überraschend groovy und erhält im zweiten Teil eine Darkwave-Keyboardfläche, dazu spielt Max Rieger ein Superriff, und die Rhythmusgruppe mit Julian Knoth am Bass und Kevin Kuhn am Schlagzeug tut das, was sie am besten kann: Die Nerven zusammenzuhalten. Wobei, so zerstörerisch wie die Platten zuvor ist das Album nicht. Das erste Stück “Als ich davonlief” steigt mit Doom-Rock und Stoner-Rock ein, dann erhebt sich der Refrain über die Strophe.
Ein Extralob für die Aufnahme der Hänge-Toms: Diese Trommeln werden gerne unterschätzt, hier aber zeigt sich, wie viel Laune ein exzellent gespieltes und produziertes Break macht. Über Darkwave sprachen wir schon, auch “Wie man es nennt” verzieht sich in die Dunkelheit, wieder sind es diese Synthieflächen (es könnten aber auch sehr verhallte Gitarren sein), die die Temperatur um ein paar Grad herunterkühlen – und wieder ist es der sich immer weiterentwickelnde Refrain, der die Wärme zurückbringt.
Spätestens an dieser Stelle wird klar: Die Nerven haben für “Wir waren hier” sehr viel Zeit und Mühe ins Songwriting investiert. Sie haben mutmaßlich viel The Cure gehört, und sie haben sich vorgenommen, die bittere Nostalgie und erstaunliche Zärtlichkeit von “Achtzehn” zuzulassen, ab jetzt die Ballade der Band. „Ich will nie mehr 18 sein“, singt Rieger, bevor Streicher einsetzen und er von den 1.000 Nadelstichen seiner gerade erlangten Volljährigkeit singt. Was auch zeigt: Dies sind Lieder, die vom Überleben handeln. Wir sind hier. Noch.
Das steckt drin: Cult Of Dom Keller, The Cure, X-mal Deutschland
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